Erinnerungen eines Eisenbahners

an den Bahnhof (Bf) Aumenau

 

von Helmut Keßler (Bundesbahn-Amtsrat aD), Niedernhausen (Taunus)

Nun sind mehr als 60 Jahre, dass ich im Bf Aumenau meine Ausbildung zum Bundesbahn-Assistenten begann. Nach so einer langen Zeit gehen logischerweise viele Erinnerungsdetails verloren, aber einige markante Eckpunkte sind  doch in meinem  Gedächtnis haften geblieben:

Mein Traumberuf war der eines Eisenbahners. Schon mein Großvater mütterlicherseits, Josef Hölzer aus Taunusstein-Bleidenstadt (Rheingau-Taunus-Kreis) -selbst Eisenbahner in Wiesbaden- bastelte für mich 1940 eine Holzeisenbahn, mit der ich mit 3 Jahren spielte und -so nach Berichten von glaubwürdigen Zeitzeugen- immer wieder gerufen haben sollte: „Aum i  au (Aumenau), alles aussteigen...“

 

Und es kam dann doch tatsächlich so:

 

 

1955 schrieb mir die Bundesbahndirektion Frankfurt am Main, dass ich mich am 1. Mai ( ! ) beim Dienststellenleiter des Bf Aumenau zwecks Dienstantritts zu melden hätte.

ausbildungsnachweisAls ich am 1. Mai dort eintraf, empfing mich der Bahnhofsvorsteher -so nannte man damals den Leiter eines Bahnhofs-, Bundesbahn-Obersekretär Heinrich Schöneberger mit mürrischen Worten:

„ Am Feiertag brauchst Du während Deiner Ausbildung nicht zu arbeiten, aber, wenn Du gerade
da bist: Sortiere schon einmal die Frachtbriefe für den Harz-Lahn-Erzbergbau!“

– ein Sprung ins kalte Wasser für mich.

Großzügig gab er mir dann (an meinem eigentlich freien Tag)
gegen 12.00 Uhr mittags frei!

Schöneberger  war ein sehr strenger Vorgesetzter, der  auf Zucht und Ordnung achtete, was , wie sich später herausstellen sollte, dem Bf Aumenau den Ruf einbrachte, einer der erfolgreichsten Ausbildungsstellen im gesamten Direktionsbereich Frankfurt am Main zu sein.

Mir war klar: Ich würde eine harte Schule zu durchlaufen haben.

Da war zunächst die Ehefrau Lina von „Herrn Vorsteher“ -so wollte er immer angesprochen werden!- , der ich oft an ihrem Waschtag zugeteilt wurde (in der heutigen Zeit undenkbar!). Meine Aufgabe bestand darin, dass ich die nasse Wäsche aus der Waschküche , die sich in dem kleinen Backsteinhäuschen gegenüber des Bahnhofsgebäudes befand, in einem Wäschekorb heraustrug und der „Frau Vorsteher“ beim Aufhängen auf die daneben installierten Wäscheleinen zu helfen hatte.

Im Bahnhofsgebäude selbst waren noch weitere Mitarbeiter beschäftigt (erinnerlich: Fahrkartenausgabe: Albert Bördner, Güterabfertigung: August Bördner (gleichzeitig Feuerwehrkommandant in Aumenau) , Urlaubs- und Krankheitsvertreter:
Wilfried Zanger, Berti Stoll, Otto Zanner,
Ausbildungskollegen von mir:
Gerold Bördner, später Dienststellenleiter Bf  Dillenburg,
Rudolf Friedrich, später Hessischer Landtagsabgeordneter und Beauftragter für Heimatvertriebene).

In dem westlich des Empfangsgebäudes gelegenen Fahrdienstleiter-Stellwerk „Af“ (=Aumenau Fahrdienstleiter) machten folgende Eisenbahner Dienst: Bundesbahn-Sekretär Wilhelm Stahl, Bundesbahn-Sekretär Eduard Scheu und Bundesbahn-Assistent Hermann Flach, von dem noch Details zu berichten sein werden.

Im ca 1 km in Richtung Limburg entfernten Wärter-Stellwerk „Aw“
(Aumenau West) sind mir noch die Weichenwärter Albert Wirbelauer und Lenz in Erinnerung.

Zettel für einen Frachtgutwagen und Kurswagen (Stuckgut)

Zu der Dienststelle  gehörte noch der Haltepunkt Arfurt in Richtung Limburg gelegen, das Betriebsgebäude dieser Blockstelle war aus Wellblechplatten gefertigt, daher der Spitzname für Arfurt = „Wellblechhausen“, was manche Zugbegleiter in launiger Art schon einmal hin und wieder als Stationsnamen bei Halt des Zuges ausriefen; einer der  Blockwärter von Arfurt hieß Kühnel.

Am Bahnübergangsposten an der Lahnbrücke nahe des Hotels Lahnblick  war Schrankenwärter Hohl beschäftigt.

Gewissermaßen als Faktotum fungierte Bahnhofsarbeiter Josef Salinger, der für alle Handwerksarbeiten, Reinigungsarbeiten, die Sauberkeit der Anlagen , sowie die Funktionen Sperrenschaffner und Wagendienstbeamter (Kontrolle der ein- und ausgehenden Güterwagen) verantwortlich war.

Der Vorsteher der zuständigen Bahnmeisterei Runkel war der technische Inspektor Robert Bendel, sein Rottenführer hieß Ketter.

Für die Telekommunikationsanlagen (Telefonverbindungen und Uhrenanlagen) war Leitungswart Speer zuständig.

Besonders gefürchtet war der im Betriebsamt Limburg amtierende Betriebsingenieur Dörrschuck, der oft mit seiner Motordraisine die Strecke bereiste und nach „dem Rechten sah“, und selbst die kleinsten Nachlässigkeiten in der Dienstausführung der Mitarbeiter hart ahndete.

Insgesamt waren es aber alles nette und hilfsbereite Kollegen, die mir beim Einstieg in den mittleren Dienst bei der Deutschen Bundesbahn hilfreich zur Seite standen, ich habe viel von ihnen gelernt und werde das nie vergessen.

Hier wäre besonders  der bei vielen Kollegen unvergessene Hermann Flach aus Villmar zu nennen. Als ehemaliger Leutnant der deutschen Wehrmacht, pflegte er seinen militärischen Drill-Stil auch bei seiner Vermittlung der Kenntnisse in der Betriebs- und Stellwerkstechnik samt der dazu gehörigen Vorschriften anzuwenden.

Viele mochten das nicht, ich auch nicht, ordnete mich aber  diesem seinem eigenen „Lehrstil“ unter, was sich in meiner späteren Dienstzeit –speziell in meiner Eigenschaft  als Bundesbahnlehrer für Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter- doch als Segen herausstellte, ich konnte da immer wieder auf fundamentale Grundkenntnisse zurückgreifen, die mir Hermann Flach vermittelt hatte.

Einige markante Erinnerungen sollen hier noch Erwähnung finden:

Der Bf Aumenau war ein wichtiger Versandbahnhof für Eisenerz der Harz-Lahn-Erzbergbau AG, die eine Verladerampe nahe des Stellwerks „Af“ besaß.

Tagtäglich wurde hier das mit einer unterirdisch angelegten Lorenbahn abgebaute Eisenerz der Gruben „Strichen“ und „Lindenberg“  –fast unter dem Ort Münster gelegen- über eine große Schütte in die bereitgestellten Eisenerztransportwagen der Bundesbahn verladen.

Beeindruckend war immer wieder, wenn die Erzzüge, bespannt mit schweren Dampfloks der Baureihe 50 (meist waren wegen der enormen Zuglasten von oft bis zu 2000 t 2 Loks erforderlich) , den Bahnhof Richtung Wetzlar/Gießen verließen.

Eines Tages -wer immer da nachlässig gearbeitet hatte- entlud sich bei der Ausfahrt eines Erzzuges ein schwerer Eisenerzwagen gerade zwischen Fahrdienstleiterstellwerk und Güterschuppen, es liefen ca 20 t Erzgestein auf den Bahnsteig und in die beiden Hauptgleise 1 und 2.

Die Strecke war mehrere Stunden gesperrt, alle mussten ran, um das Erz zur Seite zu schaffen,  das war eine Knochenarbeit, eine kindskopfgroße Menge Erz wog - wir haben diese Menge auf der Waage im Güterschuppen gewogen!- mehr als 30 kg.

Besonders in Erinnerung ist mir der harte Winter 1955/56 geblieben. Am Buß- und Bettag (Mitte November) setzte starker Frost ein, der ununterbrochen bis in den Monat März anhielt. Die Züge konnten zum Teil nicht mehr geheizt werden, weil die Lokomotiven allen Dampf benötigten, um einen ordentlichen Kesseldruck für die Zugförderung zu erreichen.

Die Treib- und Kuppelstangen der Dampfloks waren bei den arktischen Temperaturen von zum Teil bis unter minus 20 Grad mit einem dicken Eispanzer überzogen. Das Eis musste sehr häufig beim Halt in einem Bahnhof abgeschlagen werden, da musste auch das örtliche Personal helfen.

Die Lahn  war total zugefroren, die Eisdicke betrug 1 Meter und mehr; dann kam das große Tauwetter  im  März, und zwar so schnell, dass das Tau- und Regenwasser über die Eisdecke auf der Lahn lief.
Der Eisdruck war besonders an den Eisenbahndämmen enorm hoch.
Speziell an der „Speich“ kurz vor dem Villmarer Tunnel drohte der Eis- und Wasserdruck den Damm in der Kurve weg zu drücken. Das Hochwasser stand hoch bis zur Dammkrone, zum Teil waren die Gleise bereits überflutet.

Wir wurden alle an diesen Damm abkommandiert, alle 50 m stand ein Eisenbahner und beobachtete und horchte, ob der Damm halten würde oder nicht.

Gott sei Dank kam dann eine Pioniereinheit der amerikanischen Armee und sprengte -dosiert- die zurückgestaute Eismasse, die sich dann als wahre Sintflut Richtung Villmar und Limburg ergoss.

1957 war dann meine Ausbildung zum Bundesbahn-Assistenten im Bahnhof Aumenau zu Ende und mündete in die Beamtenprüfung zum mittleren Dienst.

 

Nicht, dass es etwa wichtig wäre, aber als ich im Jahre 1959 nach Niedernhausen versetzt wurde, war das für mich ein so großer Schock, dass ich allen Ernstes erwog, bei meinem Arbeitgeber, der Deutschen Bundesbahn zu kündigen. All die Ungereimtheiten und die Angst vor neuen, größeren Aufgaben, die mich sogar in Träumen verfolgten, hatten dazu geführt, dass ich meinen geliebten Eisenbahnerberuf an den Nagel hängen wollte.

Da verblassten sogar so markante Erinnerungen an meinen oben erwähnten Großvater, der schon immer sagte: Der Bub wird ein Eisenbahner!

 

Ich wurde in den Frankfurter Raum versetzt und verlor meinen Ausbildungsbahnhof  Aumenau durch die neuen Eindrücke und Aufgaben fast aus den Augen.

Doch kehrte ich noch einmal an meine alte Ausbildungsstätte zurück:
Nach erfolgreichem Verwaltungsbetriebswirtschaftsstudium und Aufstieg in den gehobenen Dienst, sowie pädagogisch-psychologischen Studien und Qualifizierung zum Bundesbahnlehrer war ich unter anderem auch verantwortlich für die Aus- und Fortbildung  der Kollegen im Bahnhof Aumenau, der in den 70er- und 80er- Jahren des vergangen Jahrhunderts  in meinen mir zugewiesenen Unterrichtsbezirk (Limburg) fiel. So schlossen sich die Kreise.

Frachtbrief von 1910

Der Bahnhof Aumenau existiert nicht mehr als eigene Dienststelle, die Strukturmaßnahmen der Deutschen Bahn haben seinen Exitus herbei geführt.

Geblieben sind aber gewisse nostalgische Anlagen, wozu unter anderem auch das Empfangsgebäude (fälschlicherweise allgemein „Bahnhof“ genannt) zählt, das schon lange keine eisenbahnspezifischen Funktionen mehr hat und nun in Privatbesitz gewechselt ist.

Bleibt zu hoffen, dass der neue Besitzer sich seiner historischen Verantwortung bewusst ist und das Gebäude einer adäquaten Nutzung zuführt, dazu wünsche ich viel Erfolg.

 

Weiterführende, interessante Informationen über die Lahntalbahn allgemein sind auch über den Link www.lahnbahn.de zu erhalten.

 

 Herzlichen Dank an Helmut Kessler für diesen wunderbaren Beitrag
und der Bereitstellung des Bildmaterials.

 

 

Weitere Bilder von Herrn Keßler:

Güterzuglok Baureihe 50 Bw - Limburg (1961) Personenzuglok Baureihe 38 Bw - Limburg (1961) Helmut Kessler als Aufsichtsbeamter Niedernhausen (1960)